Wer die filigrane Darstellung des Heiligen Georg in einem Fenster der Tübinger Stiftskirche St. Georg betrachtet, wird über die Darstellung erstaunt sein: Es gibt nur wenige Darstellungen, die die Legende von der Räderung der berühmten Heiligen zeigen. Selbst die grausamste Todesstrafe – den Delinquenten wurden zunächst mehrfach die Knochen gebrochen, bevor man sie buchstäblich auf ein Rad geflochten hat – konnte ihn nicht vom christlichen Bekenntnis abhalten. Gott erweckte ihn zur Belohnung wieder zum Leben.
Die künstlerische Verbindung dieses öffentlichen Todes, der den Delinquenten entwürdigte und entmenschlichte, mit dem Schicksal der Juden unter dem Hakenkreuz ist erschütternd. Die völkische Ideologie, für die das Hakenkreuz steht, entwürdigte und entmenschlichte alle Menschen, die angeblich nicht zum Volk gehören, besonders die Juden. Der Holocaust war das unfassbare Ergebnis dieser Ideologie.
Das Hakenkreuz ist in Deutschland verboten, die völkische Ideologie lebt aber wieder auf. Von der Verharmlosung des Holocaust ist es nur ein kleiner Schritt zu seiner Gutheißung und, so fürchten die Juden zurecht, zu seiner Wiederholung.
Dr. Ulrich Neymeyr ist Bischof des Bistums Erfurt und Vorsitzender der Unterkommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum der Deutschen Bischofskonferenz.