33Geistesblitze

33 Geistesblitze

»Die größte Gefahr liegt nicht in der Ausübung der Unethik: sondern in ihrer Duldung.« (Alfred Kerr, 1934)

Das Jahr 2024 ist nicht das Jahr 1933. Eine faschistische Machtergreifung in Deutschland steht nicht bevor. Es ziehen keine SA-Horden durch die Straßen und liefern sich mit KPD-Anhängern blutige Kämpfe. Auch gibt es bislang keine mit der Wirtschaftskrise Anfang der 30er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts vergleichbaren Zustände mit vielen Millionen Arbeitslosen und einer Verelendung weiter Bevölkerungskreise.

Kann man sich deswegen beruhigt zurücklehnen? — Mitnichten.

Erstmals seit der Wende 1989/90 haben rechtsextreme Parteien in Thüringen die Chance auf eine Regierungsbeteiligung. Rassismus und offen zur Schau getragener Hass auf Menschen mit Migrationshintergrund nehmen zu. Demokratische Institutionen und Prozesse werden systematisch in Frage gestellt. Das gesellschaftliche Klima wird zusehends rauer, der Diskurs unterschiedlicher Ansichten endet viel zu oft in der sprachlosen Verhärtung der Fronten.

Angesichts dieser Entwicklung will die Ausstellung 33 Geistesblitze von John Heartfield auf historische Parallelen hinweisen. Sie setzt nicht gleich. Sie behauptet nicht, dass die NSDAP im neuen Gewand zurückkehrt. Aber aus der Geschichte lernen, heißt, sie sich aus gegebenem Anlass wieder vor Augen zu führen und neu zu bewerten.

John Heartfields Bedeutung für die künstlerische Analyse des Faschismus kann dafür nicht hoch genug eingeschätzt werden. Seit 1930 kämpfte der einstige Dadaist mit seinen Fotomontagen gegen den Aufstieg des Faschismus in Deutschland an, ab 1933 aus dem Exil, und letztlich vergeblich. Die Blätter, die er in der vom Erfurter Willi Münzenberg herausgegebenen Arbeiter-Illustrierten-Zeitung (AIZ) veröffentlichte, stellen einen wichtigen Kristallisationspunkt des Widerstands gegen den menschenverachtenden Ungeist seiner Epoche dar.

Eines soll aber nicht verschwiegen werden: Heartfield als Person ist nicht unumstritten. Er trat früh in die KPD ein, bekämpfte nicht nur die NSDAP, sondern auch die bürgerlichen Parteien seiner Zeit. Er machte zudem keinen Hehl aus seiner anfänglichen Begeisterung für die Sowjetunion. Auch wenn er diese nach einem einjährigen Aufenthalt dort schnell verlor und nach seiner Rückkehr aus dem Londoner Exil in der DDR zunächst alles andere als wohlgelitten war – ein lupenreiner Demokrat im heutigen Sinne war Heartfield nicht.

Die Ausstellung konzentriert sich daher auf Heartfields Montagen gegen den Faschismus. Gezeigt werden die gedruckten Originalwerke, begleitet von aktuellen Kommentaren und Einordnungen durch Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Thüringen.

 

Für alle abgebildeten Montagen auf dieser Seite: © The Heartfield Community of Heirs / VG Bild-Kunst, Bonn 2024

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ARBEITER-ILLUSTRIERTE ZEITUNG (AIZ)
94 Jahre ist es her, dass über 6 Millionen Deut­sche bei der Reichstagswahl 1930 Hitlers NSDAP wählten – und die schrecklichste Zeit unserer Geschichte begann. John Heartfields Collage ist ein­dringliche Warnung und Spiegelbild zugleich. Was von einer...
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ARBEITER-ILLUSTRIERTE ZEITUNG (AIZ)
Die kraftvollen Werke von Heartfield gewinnen angesichts unserer gegenwärtigen gesellschafts­politischen Herausforderungen an besonderer Relevanz. Sie dienen als mahnende Symbole gegen das Erstarken des Faschismus und eines rassistischen, menschenverachtenden...
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ARBEITER-ILLUSTRIERTE ZEITUNG (AIZ)
Jeder Staat braucht Geld! Dies trifft immer zu – ob in friedlichen oder unfriedlichen Zeiten und unabhängig vom politischen System. Die Montage soll, nach den verheerenden Erfahrungen der Weltwirtschaftskrise und angesichts des Geldhungers der NS-Macht,...
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ARBEITER-ILLUSTRIERTE ZEITUNG (AIZ)
Dass Geld und die Gier nach Macht nicht klüger machen, ist keine besonders überraschende Erkenntnis. Gefährlicher machen sie schon. Ich frage mich oft, wieso so vielen Menschen die Mensch­lichkeit verloren geht, als eigentlich selbstverständliche Geisteshaltung,...
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ARBEITER-ILLUSTRIERTE ZEITUNG (AIZ)
Der zerzauste Helmbusch und das aufgezwirbelte Bärtchen, dazu ein Orden mit der Aufschrift »Pour le Profit« und die Hakenkreuzbinde – mit nur wenigen kleinen Eingriffen macht John Heartfield »Seine Majestät« Adolf Hitler zu einer Witzfigur in preußischer...
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ARBEITER-ILLUSTRIERTE ZEITUNG (AIZ)
Die Weimarer Republik, in der Heartfield seine kritische Kunst schuf, und die heutige Zeit teilen besorgniserregende Ähnlichkeiten – vor allem im Umgang mit politischer Macht und wirtschaftlichen Interessen. Indem ich Heartfields Montage betrachte, werde...
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ARBEITER-ILLUSTRIERTE ZEITUNG (AIZ)
Als ich ungefähr 12 Jahre alt war, habe ich ein Gespräch unter Erwachsenen belauscht. Unser Pfarrer beklagte sich: »Die Menschen wollen es nicht kommen sehen. Ich bin ratlos. So werden wir einen Krieg nicht verhindern können.« Ich komme aus einem sozialdemokratischen...
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ARBEITER-ILLUSTRIERTE ZEITUNG (AIZ)
Adolf Hitler stürzt ab! Er schreit und fuchtelt mit Armen und Beinen. Wie im Wahlkampf 1932. Er stürzt un­aufhaltsam in die Tiefe, gefolgt von anderen Männern seiner Bewegung. Das Hakenkreuz zerschellt am Felsen. Heartfields Neujahrswunsch ging nicht...
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ARBEITER-ILLUSTRIERTE ZEITUNG (AIZ)
GESELLSCHAFTLICH WACH ZU SEIN, heißt beobachten und dechiffrieren, den Tag lesen wie ein Buch – aufmerksam, die Erzählung auskostend; Widersprüche und Suggestionen aufdecken, Menschen und ihre Verführbarkeit, ihren Geltungsdrang ertragen, ihr Herz hinter...
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ARBEITER-ILLUSTRIERTE ZEITUNG (AIZ)
Welche Werke mit welcher Begründung würden heute ins Feuer geworfen und von wem? Welche Schriften und Werke des Humanismus, des Klassenkampfes, der Freundschaft, des Lebens, der Diskussion und des Lebens würden heutzutage verbrannt? Natürlich wären es...
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ARBEITER-ILLUSTRIERTE ZEITUNG (AIZ)
Zugegeben, nach meiner ersten Begegnung mit Werken John Heartfields im Schulunterricht Ende der 1970er landete er direkt in der Schublade Propaganda. Friedensverwöhnt hatte man die Nase voll von Anti-Krieg, von Erinnerungen an ein nicht selbst erlebtes...
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ARBEITER-ILLUSTRIERTE ZEITUNG (AIZ)
Ein Werkzeug in Gottes Hand meinte Adolf Hitler zu sein. Und doch sehen wir ihn hier als Spielzeug des Großkapitals. Thyssen zieht die Strippen. Hitler spricht in seinen Reden auffallend häufig von der Vorsehung und dem allmächtigen Gott, der das deutsche...
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ARBEITER-ILLUSTRIERTE ZEITUNG (AIZ)
Der »Untermensch« bevölkerte als Denkfigur zuverlässig das Repertoire der NS-Ideologie. In den Rassetheorien der 1920er Jahre kommt der Begriff ebenso vor wie in den Schriften von Alfred Rosenberg, einem der Vordenker der Bewegung. Konstruiert ist dieser...
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ARBEITER-ILLUSTRIERTE ZEITUNG (AIZ)
Der Hitlergruß als Galgengruß: Treffender kann man den Unrechtscharakter des verbrecherischen NS-Regimes kaum zeigen. Der übergewichtige Hermann Göring grüßt vor einem Galgen, dahinter die brennende Kuppel des Reichstages. Mit der nach dem Reichstagsbrand...
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ARBEITER-ILLUSTRIERTE ZEITUNG (AIZ)
Nach ihrer Machtübernahme am 30. Januar 1933 verloren die Nationalsozialisten keine Zeit. Innerhalb weniger Wochen wurde die Weimarer Verfassung weitgehend ausgehebelt, Parteien und Gewerk­schaften verboten, die ersten Gesetze zur Judenverfolgung erlassen...
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ARBEITER-ILLUSTRIERTE ZEITUNG (AIZ)
Karikaturen verarbeiten in aller Regel Themen der Zeit. Warum also sollten wir uns mit der Wirkung von Kari­katuren aus dem letzten Jahrhundert beschäftigen? Weil es dann eben doch so ist, dass man aus der Geschichte lernen kann. Natürlich ist die Welt...
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ARBEITER-ILLUSTRIERTE ZEITUNG (AIZ)
Mordtaten am politischen Gegner waren nach der Machtübergabe an das NS-Regime an der Tagesordnung. Die Geheime Staatspolizei (Gestapo), aber auch der normale Polizeiapparat beseitigten missliebige Oppositionelle, führten unter fadenscheinigen Vorwänden...
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ARBEITER-ILLUSTRIERTE ZEITUNG (AIZ)
Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden […] sondern durch Eisen und Blut.« Mit diesen Worten wandte sich Otto von Bismarck, gerade zum preußischen Minister­präsidenten ernannt, 1862 im antidemokratischen...
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ARBEITER-ILLUSTRIERTE ZEITUNG (AIZ)
Politische Mimikry im 21. Jahrhundert findet in den sozialen Netzwerken statt. Sie sind die »größte Propagandamaschine der Geschichte«, wie Sacha Baron Cohen sagte. Für faschistische Logik ist es zentral, einen vermeintlichen Ausnahmezustand zu konstruieren,...
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ARBEITER-ILLUSTRIERTE ZEITUNG (AIZ)
Wer die filigrane Darstellung des Heiligen Georg in einem Fenster der Tübinger Stiftskirche St. Georg betrachtet, wird über die Darstellung erstaunt sein: Es gibt nur wenige Darstellungen, die die Legende von der Räderung der berühmten Heiligen zeigen....
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ARBEITER-ILLUSTRIERTE ZEITUNG (AIZ)
Als John Heartfield diese Montage ein Jahr nach Hitlers Machtübernahme schuf, hatte er bereits im Ersten Weltkrieg gedient, war Künstler, Verleger, aktiver Kommunist und Emigrant. Seine feinen politischen Antennen erkannten früh die Gefahr, die von den...
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ARBEITER-ILLUSTRIERTE ZEITUNG (AIZ)
Tauben, die mit den Flügeln einen faschistischen Gruß zeigen und an den beiden faschistischen Diktatoren Hitler und Mussolini im Stechschritt vorbeimarschie­ren: Die Szene spielt im Juni 1934 in Venedig auf dem Markusplatz, der schon damals bekannt war...
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ARBEITER-ILLUSTRIERTE ZEITUNG (AIZ)
Er rührte an den Schlaf der Welt, mit Worten, die Blitze waren«, dichtete Johannes R. Becher über den kom­munistischen Vordenker und Revolutionär Lenin. Den NS-Politiker und Kriegsverbrecher Göring lässt Heartfield direkt am Globus zündeln. Blitz und...
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ARBEITER-ILLUSTRIERTE ZEITUNG (AIZ)
Mit seiner Diagnose-Montage erinnert Heartfield daran, dass die nationalsozialistische Diktatur keine Fremdübernahme eines unschuldigen »Volkes« war, sondern massiven Rückhalt in der deutschen Bevölkerung erhielt. So viel Rückhalt, dass die ständige Hinwendung...
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ARBEITER-ILLUSTRIERTE ZEITUNG (AIZ)
Unsere Generation trägt eine immense Verant­wortung, die Lehren aus der Geschichte zu ziehen und sicherzustellen, dass die Schrecken des Holocausts nie wieder geschehen. Es ist beunruhigend zu sehen, wie viele sich von politischem Engagement abwenden...
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ARBEITER-ILLUSTRIERTE ZEITUNG (AIZ)
Die Macht der Musik: John Heartfields »Lied der Heil-Armee« legt den Finger in die Wunde. Eine singende Gruppe Uniformierter, den Arm zum Hitlergruß erhoben: Das ist uns zutiefst unangenehm, der Liedtext tut sein übriges. Aber was bedeutet es, dass die...
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ARBEITER-ILLUSTRIERTE ZEITUNG (AIZ)
Als mir bewusst wurde, dass die Montage den NS–Rassenwahn deutscher Faschisten zeigt, bekam ich Gänsehaut. Das Bild drückt zentral die Ansicht aus, dass nicht alle Menschen gleich seien, sondern entweder in eine übergeordnete Herrenrasse oder andere minderwertige...
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ARBEITER-ILLUSTRIERTE ZEITUNG (AIZ)
Alle Mann anpacken! Stopp – eine Frau in Schürze ist auch dabei. Sieben Menschen verschiedenen Alters, Arbeiter und Ange­stellte, stemmen mit vereinter Körperkraft eine Stahlramme gegen die übermächtige, hakenkreuzbeflaggte Festungs­mauer. Die Wucht der...
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ARBEITER-ILLUSTRIERTE ZEITUNG (AIZ)
Heartfields Fotomontage gewährt einen beklemmen­den Einblick in eine Zeit, in der politische Propagan­da mächtige Illusionen webte. Der deutsche Michel, dessen resignierte Hände sich gegen eine künstlich geschaf­fene Bedrohung aus Kanonen, Panzern und...
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ARBEITER-ILLUSTRIERTE ZEITUNG (AIZ)
Ein NS-Richter steht mit erhobenem Beil in Henker­pose auf Heartfields Fotomontage gegen die Volks­gerichtshöfe. Ein zorniger Künstler ergreift Partei gegen die Mächtigen. Hintergrund war der sogenannte Richardstraßenprozess: Das »Volksgericht« hatte...
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ARBEITER-ILLUSTRIERTE ZEITUNG (AIZ)
Drei »Hitler-Jungen« (HJ), im Alter zwischen zehn und 14 Jahren, hat Heartfield aus Schwarz-Weiß-Fotos herausgeschnitten und sie vor die graue Kulisse anderer »Pimpfe« – so die NS-Bezeichnung – platziert. Sie tragen HJ-Uniformen, Hoheitszeichen und Trommeln....
JH-36-26
ARBEITER-ILLUSTRIERTE ZEITUNG (AIZ)
Heartfields Montage zeigt die Olympischen Ringe in Verbindung mit einer Streitaxt. Es verdeutlicht klar, dass zu Zeiten des Nationalsozialismus der Sport zur Gewaltverherrlichung und politischen Propaganda missbraucht wurde. Dass der Sport seinerzeit...
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VOLKS-ILLUSTRIERTE (VI, in Nachfolge der AIZ)
Erschreckend ist für mich vor allem die Aktualität der Stimmungslage und Stimmungsmache, die Heartfield hier karikiert: Die Sorge einer vermeintlichen Über­fremdung, pseudo-wissenschaftlich begründet. Die Inszenie­rung einer Bedrohung durch nichtdeutsche...
JH-VI-37-09
VOLKS-ILLUSTRIERTE (VI, in Nachfolge der AIZ)
Das Jahr 1937 sehen Historiker als die Ruhe vor dem Sturm. Die Nationalsozialisten eilen von Erfolg zu Erfolg, nichts scheint sie aufhalten zu können. Doch hinter der Friedensrhetorik zieht das Unheil herauf; der Kriegsadler steht bereit. Wie können das...
JH-VI-37-15
VOLKS-ILLUSTRIERTE (VI, in Nachfolge der AIZ)
Die »Saat des Todes« ist eine Collage, die in bedrückender Eindringlichkeit die Atmosphäre ihrer Entstehungszeit aufnimmt und auf die wahre Gefahr jener Jahre verweist. Wer Hakenkreuze sät, wird den Tod ernten. Millionenfach hat sich bewahrheitet, wie...
heartfield-Faust
VOLKS-ILLUSTRIERTE (VI, in Nachfolge der AIZ)
In dem von NS-Propaganda geprägten Deutschland informierte der antifaschistische »Deutsche Freiheits­sender 29,8« aus Spanien Menschen auf der Suche nach Wahrheit statt Lüge. Die Demokratie braucht freie Medien und mutige Journalistinnen und Journalisten,...
JH-VI-37-41
VOLKS-ILLUSTRIERTE (VI, in Nachfolge der AIZ)
Der Einmarsch Japans in China im Jahr 1937, die Bombardierung von Wohngebieten und die Tötung von Zivilisten waren grausame Vorboten des Schreckens, der die ganze Welt in den kommenden Jahren erschüttern würde. Heartfields Warnung vor dem drohenden Unheil...
JH-VI-38-40
VOLKS-ILLUSTRIERTE (VI, in Nachfolge der AIZ)
Propaganda, mantraartig wiederholt, massenhaft verbreitet, verfolgt nur ein Ziel: Misstrauen gegen­über staatlichen Institutionen, der Wissenschaft, der Justiz und der freien Presse zu schüren. Gesellschaftliche Ordnung zu destabilisieren. Zweifel zu...