33Geistesblitze

© The Heartfield Community of Heirs / VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Ein NS-Richter steht mit erhobenem Beil in Henker­pose auf Heartfields Fotomontage gegen die Volks­gerichtshöfe. Ein zorniger Künstler ergreift Partei gegen die Mächtigen. Hintergrund war der sogenannte Richardstraßenprozess: Das »Volksgericht« hatte fünf Angeklagte ohne Schuldbeweise, nur unter Berufung auf das »gesunde Volksempfinden«, zum Tode verurteilt. (Aragon nannte Heartfields Werke ein »Messer …, das in alle Herzen dringt«, eine von Moden unabhängige, allgemeingültige Stellungnahme für Frieden und Gerechtigkeit.)

Natürlich ist »richten« im Sinne von willkürlich hinrichten nicht dasselbe wie ein rechtsstaatliches Verfahren, auf das in einem demokratischen Rechtsstaat selbst Nazis Anspruch haben. Allerdings hätten NS-Verbrecher nach 1945 umfas­send angeklagt und bestraft werden müssen. Das geschah in keinem der beiden deutschen Staaten – und das empfinde ich als einen Verrat an den NS-Opfern und der Rechtsstaat­lichkeit. Umso mehr müssen wir heute jeglichem Extremis­mus, der Menschen wieder ihre Rechte rauben will, eine entschlossene Absage erteilen. (Auch Kunst kann sich heute nicht auf Erklärung und Aufklärung beschränken, sondern muss Wege aufzeigen unerträgliche Zustände zu verändern.)

Stephan J. Kramer ist seit 2015 Präsident des Amtes für Verfassungsschutz in Thüringen; zuvor war er Geschäftsführer und Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland.