33Geistesblitze

© The Heartfield Community of Heirs / VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Die Weimarer Republik, in der Heartfield seine kritische Kunst schuf, und die heutige Zeit teilen besorgniserregende Ähnlichkeiten – vor allem im Umgang mit politischer Macht und wirtschaftlichen Interessen.

Indem ich Heartfields Montage betrachte, werde ich daran erinnert, wie wichtig es ist, die Geschichte als Spiegel für die Gegenwart zu nutzen. Es ist ein Appell, wachsam zu bleiben und sich bewusst zu machen, wie die Entscheidungen, die wir heute treffen – sei es bei anstehenden Wahlen oder in unserem täglichen Handeln – die Grundlagen unserer demokratischen Gesellschaft formen und beeinflussen.

Jeder Unternehmer, der seine finanziellen Ressourcen zur Unterstützung von Parteien nutzt, sollte sich kritisch hinterfragen, insbesondere wenn diese Mittel in die politischen Ränder und damit in die Unterhöhlung unserer Demokratie fließen. Das verdiente und gespendete Geld wurde ja unter anderem gerade wegen unserer wunderbaren Demokratie verdient, und diese gilt es zu schützen – auch und vor allem von uns Unternehmern und Firmenlenkern.

Torsten Pfeifer ist Gründer der TREUENBURG Group,
einem auf Mitteldeutschland fokussierten Immobilien- und Venture-Capital-Investor mit Sitz in Erfurt. Der gebürtige Mühlhäuser engagiert sich leidenschaftlich
in den Bereichen Ehrenamt, Charity und Sportsponsoring

Das wohl bekannteste Motiv John Heartfields ist ein Zeitdokument, über das gesprochen werden muss. Einerseits besticht seine Fotomontage von 1932 – wenige Monate vor der Machtergreifung Hitlers veröffentlicht – durch eine klare politische Aussage, wie sie sich mancher heute vielleicht wieder wünschen würde. Andererseits ist sie ein Lehrbeispiel für eine überzogene Komplexitätsreduktion, die aus der damaligen Situation heraus nachvollziehbar sein mag, der Vielschichtigkeit gesellschaftlich-politischer Verhältnisse (zumindest in der geschichtswissenschaftlichen Retrospektive) allerdings nicht gerecht wird.

Und es ist für uns Heutige – gerade für diejenigen mit DDR-Sozialisation, die Heartfield noch aus ihrem »sozialistischen« Kunst- und Geschichtsunterricht kennen –notwendig, die biographische Perspektive auf den Künstler nicht zu vernachlässigen, der sicherlich ein überzeugter Antifaschist, aber deshalb noch kein »lupenreiner Demokrat« gewesen ist. Kurz gesagt: Heartfields Fotomontage ist ästhetisch revolutionär, aber sie weist – in sich, aber auch werkgeschichtlich – eine Reihe problematischer Bezüge auf.

Zunächst: Wie wenige andere Motive repräsentiert »Der Sinn des Hitlergrusses« die große ästhetische Kraft der neuen Bildsprache Heartfields. Mit ihr konnten einfache Botschaften einprägsam vermittelt und unvergesslich gemacht werden. In unserem Internetzeitalter würde man vielleicht von einem »Meme« sprechen. Heartfield wäre heute ohne Zweifel ein erfolg­reicher politischer »Influencer«. Ein innovativer Künstler war er bereits zu Lebzeiten allemal.

Was sich aus der Montage allein aber nicht erschließt: Ihre Botschaft birgt politische Fall­stricke. Sie steht für den ehrlichen Kampf gegen den Rechtsextremismus, aber sie steht auch für kommunistische Fehlwahrnehmungen dieses Rechtsextremismus. Denn die Kernthese der Montage ist historisch falsch. Hitler war zum Zeitpunkt ihres Erscheinens keine Kreatur des Großkapitals. Diese Behauptung war Partei-Linie der marxistisch-leninistischen KPD. Sie verkennt, dass die NSDAP eine – wie etwa der Parteienforscher Jürgen W. Falter schrieb – in sich äußerst widersprüchliche »Volkspartei mit Mittelstandsbauch« war. Eine Partei der Groß­industriellen war sie sicherlich (noch) nicht. Die enge Verquickung von Geld und (politischer) Macht hat es in jener Zeit natürlich gegeben. Profiteure waren vor allem Rechts- und Rechts­außen-Parteien. Heartfield kann man zugutehalten, darauf implizit hingewiesen zu haben.

Und schließlich die biographische Metaebene: John Heartfield war Gründungsmitglied der KPD, die die Weimarer Demokratie aktiv bekämpfte. Bei seiner Rückkehr aus dem Exil im Jahr 1950 wählte er bewusst den Weg in den vermeintlich besseren, »sozialistischen« Teil Deutsch­lands, wo ihm als »Westemigranten« zwar anfangs ein gewisses Misstrauen entgegenschlug, wo er 1956 aber doch noch die Aufnahme in die SED schaffte und als hochdekorierter Künstler bis zu seinem Lebensende im Jahr 1968 verblieb. Hier zeigt sich: Die Gegnerschaft zu den Nazis bedeutete nicht automatisch ein demokratisches Selbstverständnis.

Was lernen wir daraus? »Richtig« und »falsch« liegen oft enger beieinander, als man vermutet. Das Denken in Schwarz-Weiß-Rastern kann in der Kunst legitim und notwendig sein – für die Politik ist es kein erfolgversprechender Ansatz.

Wolfgang Tiefensee ist seit 2014 Thüringer Minister für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft.
Zuvor war er u.a. Oberbürgermeister der Stadt Leipzig, Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und Abgeordneter des Deutschen Bundestags.