GESELLSCHAFTLICH WACH ZU SEIN, heißt beobachten und dechiffrieren, den Tag lesen wie ein Buch – aufmerksam, die Erzählung auskostend; Widersprüche und Suggestionen aufdecken, Menschen und ihre Verführbarkeit, ihren Geltungsdrang ertragen, ihr Herz hinter dem zur Schau getragenen Appetit schlagen hören; Meinung als Meinung markieren, wo sie Wahrheit und Wahrhaftigkeit verdrängt; den Geist hinter der Parole suchen, Konsequenzen des Behauptens und Handelns ausloten, sich selbst in jenem erkennen, auf den gezeigt wird, um Empathie zu schulen, Fremdes als Eigenes zu erfahren; Aggression als Aggression ablehnen, dem Uniformen misstrauen, auch wenn es Ordnung verspricht, aber auch dem agitatorischen Einzelnen widerstehen, der für dich zu sprechen scheint, ein vorschnelles Wir behauptet; nachdenken, was uns Freiheit und Selbstbestimmung erlaubt, Offenheit als inklusiven Wert kultivieren – man muss sie teilen, nicht einmauern, damit sie uns selbstbestimmte Räume eröffnet, uns Neues erschließt, überrascht; das Volk als Souverän aushalten, auch wenn es irrt, es hören und fordern, nie nur sein Liebling sein, den Sturm der Demokratie parieren, der uns stärkt und in Spannung hält; das Hakenkreuz in jedem Bild erkennen, das dir etwas zulasten anderer verspricht, HEISST GESELLSCHAFTLICH WACH ZU SEIN.
Dr. Tobias J. Knoblich ist Kulturwissenschaftler, Beigeordneter für Kultur, Stadtentwicklung und Welterbe der Landeshauptstadt Erfurt; daneben u. a. Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft e. V., Mitglied im Kulturausschuss des Deutschen Städtetags sowie
des Fachausschusses Kultur der Deutschen UNESCO-Kommission.